Thomas' Gedanken zum Tage

 

 

 

 

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Was täglich geschieht:

 

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Nicht die Dinge an sich beunruhigen uns, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.

Epiktet

  • 3.12.2007

Skizzen 14

Der venezianische Senat am 22.6.1630 angesichts einer Pestepidemie:

"Gott ist es gewohnt, uns die Geißel seines Zorns zu zeigen und uns dadurch an das Gute zu gemahnen."

Ein US-amerikanischer Bürger 1983 über die AIDS-Epidemie:

"AIDS ist Gottes Strafe für Homosexualität."

336 Jahre liegen dazwischen. Nein, das Mittelalter in den Köpfen ist noch nicht vorbei (dabei wollte der venezianische Senat nur eine Panik verhindern und sagte einige Zeit später die Wahrheit über die Zustände: "Wir haben eine Seuche in der Stadt."). Die Aufklärung steht uns noch bevor. Aber sie wird in diesem Leben nicht mehr stattfinden. Und dabei steht das Wissen zur Verfügung.

 

  • 9.12.2007

 

Jedes Kind kann schlafen lernen? Komisch, unser Kind konnte schon schlafen, als es zu uns kam, das brauchte es nicht mehr zu lernen.

Ein Kind soll essen lernen? Eigenartig, mir kam es so vor, als wäre das schon drin enthalten gewesen.

Man muss einem Kind Ordnung beibringen? Gut, aber das ist doch in einer Minute erledigt.

Und mein Kind ist anders, als ich mir das vorstelle? Tja, dann muss ich wohl ein Problem lösen. Das Kind hat nämlich keines damit, wie es ist. Es sei denn, ich mache ihm eines.

 

Gefühle:

Weil wir den Menschen leer und tot vorkommen, wenn wir sie bei uns behalten. Weil unsere Gefühle den Anderen das Herz öffnen, während der Verstand den anderen nur den Kopf öffnet. Das aber ist wesentlich schwieriger, erfordert viel mehr Disziplin und ist mangels Erfahrung im Umgang mit diesem Werkzeug meistens ein sinnloses Unterfangen. Meinungen und Gedanken sind oft nur die notdürtige Verkleidung von Gefühlen.

 

  • 10.12.07

 

Heute hat meine Tochter Tabea Geburtstag. Sie wird dreizehn Jahre alt. Wir haben uns seit neun Jahren nicht gesehen. Wenn sie dies hier liest, weiß sie, dass ihr Papa sie nicht vergessen hat, dass ich sie nie vergessen habe. Das meiste von dem, was man Dir über mich gesagt hat, stimmt nicht.

 

  • 12.12.07

 

z.B. Gäste:

Da laden wir uns Gäste ein, zum Geburtstag, zu Weihnachten oder auch einfach nur zum Wochenende, und dann bereiten wir vor. Die Küche muss noch sauber, und das Bad: das muss noch gescheuert werden. Und die Brötchen, sind die schon geschmiert? Möchtest Du vielleicht noch ein Stück Kuchen? Ich könnte Dir auch einen Tee machen. Willst Du denn wirklich überhaupt nichts haben? (Ist denn die Fensterbank auch schön sauber? Hab ich geschwitzt beim Saubermachen, bin richtig fertig jetzt.) Ist denn noch genügend Sahne da? Hat auch jeder einen Platz zum Sitzen? Ah ja, die Bilderrahmen sind ganz neu, schön, nicht wahr?! (Hoffentlich guckt keiner im Besenschrank nach... Und in der Ecke liegt ja noch eine Staubmaus! Ach nein, das ist ein Handschuh vom Gast, schnell auf die Anrichte legen.)

Und so wird alles immer unbequemer, aber nicht besser damit. Es ist schön eingerichtet, aber nicht mehr gastlich, es könnt ein Museum unserer Biografie sein. Es ist schön zubereitet, aber es lebt nicht mehr, staubt nur noch ein. Es ist perfekt, aber unvollkommen. Es ist vollendet, aber tot. Das Essen ist prima, geradezu erstklassig, aber es schmeckt nicht mehr. - Jetzt werden die Gäste auch zum Störfaktor, hinter dem man aufräumen muss. Schmutzige Teller, krümelige Böden, wer soll denn das mögen! Es geht nur noch darum, ob die Inszenierung gelingt, nicht mehr darum, ob wir uns wohl gefühlt haben. Da lass ich das Einladen und dann Wischen und Putzen und Einkaufen und Vorbereiten und Geld ausgeben und viel Geld ausgeben und diesmal für das teurere Essen, es soll ja keiner denken wir könnten es uns nicht leisten, da lass ich all diese Anstrengung doch lieber sein und verkümmere in meiner störungs-, irritationsfrei und perfekt inszenierten Behausung von gar nichts mehr ganz allein.

Erinnert ihr euch noch, wie das war, als wir einfach so Gäste bekommen haben? Du hast Hunger oder Durst? Weist ja, wo was ist. Keine Milch mehr da? Ich geh mal schnell zum Kiosk runter. Du hast nen Kuchen mitgebracht? Stell mal da hin. Und die Freunde kamen auch, sie kamen einfach so mal vorbei. Meist wussten wir gar nicht, warum. Seitdem sind wir vollständiger geworden in unserer Einrichtung, aber einsamer in unserem Herzen. Wir haben gelernt, das zu bevorzugen. Wir haben es uns angewöhnt. Am Ende werden wir vollständig sein, und vollständig allein; es ist alles da, aber zu nichts mehr gut. Und erst wenn wir endgültig allein sind, six feet under, dann kommt das Chaos zurück, dem wir unsere Ordnung entrungen haben, gegen das wir uns ganz vergeblich wehren. Dieses Chaos macht alles wieder gleich und wir gehen die letzte Verbindung mit allem ein. Aber das ist dann auch schon egal.

 

  • 13.12.2007

 

Ich möchte gern einmal erläutern, was man auf dieser Fotografie sieht. Ich entnahm sie dem SPIEGEL 50 /2007, Seite124.

In einer Grube, die eine Leichengrube zu sein scheint, ganz vorne holt eine uniformierte Person mit einem Bajonett aus, um auf eine am Boden liegende Person damit einzustechen. Der am Boden liegende Mensch versucht, die Waffe mit dem linken Bein abzuwehren, da sein rechtes Bein unten liegt und seine Hände auf den Rücken gefesselt zu sein scheinen. Es sieht auch so aus, als wollte er sein Gesicht schützen. Die uniformierte Person mit dem Bajonett zielt nach dem Bauch oder dem Unterleib des Liegenden. (Eine Bauchverletzung soll eine besonders qualvolle und langwierige Art zu sterben sein.) Rechts dahinter sieht man, wie eine andere uniformierte Person in Kampfstellung ihr Bajonett in der unteren Leibeshälfte einer nur noch liegenden, nicht mehr sich wehrenden Person mit auf den Rücken gefesselten Händen stecken hat. Dieser Liegende beugt sich mit dem Gesicht zur Erde, als wolle er wenigstens seinen Bauch noch schützen. Links schlägt ein stehender Uniformierter mit etwas Länglichem nach dem Nacken eines am Boden Sitzenden. Besonders interessant ist die relativ zentral stehende Person, die mit dem linken Bein einen kleinen Schritt in Richtung des Fotografen macht. Der nicht-uniformen Kleidung und den wahrscheinlich ebenfalls gefesselten Händen darf man entnehmen, dass es ihr bevorsteht, erschlagen und erstochen zu werden. Diese Person weiß, was kommen wird. Ihr sind vielleicht noch die vielen Anwesenden bewusst, wobei ich nicht glaube, zu übertreiben, wenn ich sage, dass hier niemand der am Grubenrand Stehenden die Getöteten oder noch zu Tötenden kennt. Er stirbt also allein unter Fremden. Drumherum, am Rand der Grube, stehen mehrere dutzend Personen, die dem Geschehen zusehen. Sie haben die Hände zum Teil in die Hüfte gestemmt oder in die Tasche gesteckt, teilweise deuten sie in die Grube hinein. Einige beugen sich auch vor, möglicherweise, um besser sehen zu können, was in der Grube geschieht. Ob hinter der Wand von Menschen am Grubenrand, eventuell bei den drei oder vier Bäumen, die man sehen kann, jemand steht, ist nicht zu sehen; zu sehen ist aber: die Welt ist hier zu Ende. Ebenfalls interessant: Es gibt einen Fotografen, der seine Apparatur aufgebaut hat, um die Szene zu fotografieren.

Ich könnte mich einerseits entscheiden, mein Menschenbild aus dieser 70 Jahre alten Fotografie zu beziehen, die aber auch genauso gut 7 Jahre oder 7 Wochen alt sein könnte. Andererseits bin ich froh, dass mein kleiner Sohn nicht in der Lage ist, zu erkennen, was man hier sieht. Sollte er es aber eines Tages doch können, so werde ich lügen und ihm mit Karl Kraus sagen: O Gott wo bist du.

 

  • 18.12.2007

 

Sein Herr Xanthippos sagt ihm eines Sommer- oder Winterabends, denn die Griechen badeten zu jeder Jahreszeit: "Äsop, geh ins Bad; wenn wenige Leute darin sind, wollen wir baden..." Äsop geht. Unterwegs begegnet er der athenischen Wache. "Wohin gehst du?" - "Wohin ich gehe?" antwortete Äsop. "Das weiß ich nicht." - "Du weißt es nicht? Marsch, ins Gefängnis." - "Na?" fährt Äsop fort, "habe ich nicht deutlich gesagt, ich wisse nicht, wohin ich ginge? Ich wollte zum Bad, und jetzt wandere ich ins Gefängnis..."

Diderot, Jaques der Fatalist und sein Herr

 

  • 19.12.2007

 

In jedem Urteil, in jedem Bilde: immer nur ich selbst. Woran erkenne ich, dass ich die Welt erkenne? Die sinnliche Gewissheit führt uns in die Irre.

tat tvam asi [sanskrit: ich bin das]

 

...dann fand ich meine Ruhe wieder. Ich war erschöpft und warf mich auf meine Pritsche. Ich glaube, ich habe geschlafen, denn als ich wach wurde, schienen mir die Sterne ins Gesicht. Die Geräusche der Landschaft stiegen zu mir herauf. Düfte aus Nacht, Erde und Salz kühlten meine Schläfen. Wie eine Flut drang der wunderbare Friede dieses schlafenden Sommers in mich ein. In diesem Augenblick und an der Grenze der Nacht heulten Sirenen. Sie kündeten den Aufbruch in eine Welt an, die mir nun für immer gleichgültig war. Als hätte dieser große Zorn mich von allem Übel gereinigt und mir alle Hoffnung genommen, wurde ich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum ersten mal empfänglich für die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt. Als ich empfand, wie ähnlich sie mir war, wie brüderlich, da fühlte ich, dass ich glücklich gewesen war und immer noch glücklich bin. Damit sich alles erfüllt, damit ich mich weniger allein fühle, brauchte ich nur noch eines zu wünschen: am Tag meiner Hinrichtung viele Zuschauer, die mich mit Schreien des Hasses empfangen.

Camus, Der Fremde

 

  • 23.12.2007

 

Aus der FAZ, http://www.faz.net, 23.12.2007, von Claudius Seidl:

"Diese Frage geht so: Angesichts der Herausforderung durch Leute, die sich von ihrem Glauben dazu inspirieren lassen, sich selbst und möglichst viele von jenen, die sie für die Ungläubigen halten, in die Luft zu jagen, Wolkenkratzer, U-Bahnen und Flugzeuge zu sprengen und uns ganz generell mit Verachtung und Hass zu begegnen, angesichts dieser Herausforderung können wir, die Bewohner des Westens, uns jene religiöse Indifferenz, welche bis vor kurzem die vorherrschende Haltung war, nicht mehr leisten. Vielmehr müssen wir uns klar darüber werden, ob Gott in diesem Konflikt unser Verbündeter ist. Oder unser gefährlichster Gegner."

Meine Antwort: Aber selbstverständlich können wir uns das leisten, wir müssen gar nichts, und schon gar nicht uns auf dieses Niveau unserer Gegner oder gar Feinde herunterziehen lassen. Ich jedenfalls kann mir jede Indifferenz leisten, die ich mir leisten will, wenn ich das will, auch wenn das meinen andersgläubigen Gegnern nicht gefällt. Mehr noch, ich kann sie mir nicht nur leisten, ich kann sie erfahrungsgemäß sogar ganz gelassen aushalten, ich hab mich da diszipliniert, auch wenn ihnen das ganz unbegreiflich bleibt. Ich lasse mir doch von meinen Gegnern nicht sagen, was ich mir leisten kann und was nicht. Jetzt sollte ich mir also von Fanatikern meine Haltung vorschreiben lassen? Ja was hat der Claudius Seidl denn da für einen Knall! Ach Claudi, das glaubst Du gar nicht, was man sich alles leisten kann. Und vor allem, wenn man so dämliche Fragen stellt wie ob Gott unser Verbündeter oder Gegner ist, was schon zu Kaisers Zeiten im ersten Weltkrieg der letzte Hirnschwurbel war (war das nicht auch schon bei den Kreuzzügen so?), sollte man sich vielleicht fragen, ob diese unsere alte, göttliche Idee wirklich so alberne Verbündete verdient hat wie den Herrn Seidl. Man möcht sich ja selber nicht immer von irgendwem verteidigt wissen, nicht wahr.

 

  • 29.12.2007

 

Alle Prediger wollen, dass man ihnen zuhört und Recht gibt, vielleicht zu unserem Vorteile, jedenfalls aber zu ihrem.

"Der erste Schwur, den zwei Wesen aus Fleisch und Blut einander leisteten, geschah am Fuß eines Felsens, der zu Staub zerfiel; sie riefen zum Zeugen ihrer Beständigkeit einen Himmel an, der keinen Augenblick lang derselbe bleibt; alles in ihnen und um sie her verging, und sie glaubten ihre Herzen frei von Unbeständigkeiten. O ihr Kinder, ihr ewigen Kinder...!"

Diderot, Jaques der Fatalist und sein Herr

 

  •  30.12.2007

 

„Monsieur, was sucht Ihr in der Musik?“
„Ich suche den Schmerz und die Tränen."
„Es ist schwierig, Monsieur. Die Musik ist nur dazu da, das zu sagen, was Worte nicht auszudrücken vermögen. In diesem Sinne ist sie auch nicht wirklich menschlich. Ihr habt also entdeckt, dass sie nicht für den König ist?“
„Ich habe entdeckt, dass sie für Gott ist.“
„Ihr habt euch getäuscht, denn Gott spricht.“
„Für das Ohr?“
„Das, was ich nicht in Worte fassen kann, ist nicht für das Ohr bestimmt.“
„Für das Gold?“
„Nein, das Gold kann man nicht hören.“
„Für den Ruhm?“
„Nein, nur die Namen können Ruhm erlangen.“
„Für das Schweigen?“
„Es ist nichts weiter als das Gegenteil des Sprechens.“
„Für die Rivalen?“
„Nein.“
„Für die Liebe?“
„Nein.“
„Für den Liebesschmerz?“
„Nein.“
„Für das Verlassensein?“
„Nein und abermals nein.“
„Ist es für die Waffel, die man ins Leere reicht?“
„Auch nicht. Was ist schon eine Waffel? Man sieht sie. Sie hat Geschmack. Man kann sie essen. Sie ist nichts.“
„Ich weiß nicht Monsieur. Ich glaube, dass man den Toten ein Glas reichen muss...“
„Jetzt seid Ihr ganz nahe.“
„Ein kleiner Trunk für die, welche die Sprache verlassen hat. Für den Schatten der Kinder. Für die Hammerschläge der Schuhmacher. Für die Zustände, die der Kindheit vorausgehen. Als man noch ohne Atem war. Als man noch ohne Licht war.“

Quignard, Die siebente Saite

  • 31.12.2007

 

Skizzen 15

Es ist 16 Uhr. In der Stadt herrscht an diesem letzten Tag des Jahres, wie jedes Jahr an diesem Tag, eine merkwürdige Athmosphäre, eine so besondere Stille, als würde ein riesiger Organismus langsam einatmen, immer tiefer und tiefer und ganz still, um in wenigen Augenblicken loszubrüllen. Wenn man jetzt hinausginge, würde man von Fußgängern gegrüßt. Als würden wir näher zusammenrücken, um in wenigen Momenten umso weiter auseinander zu rücken.

Meine Prognose: es wird 2008 werden (nach dem jüdischen Kalender haben wir übrigens das Jahr 5768 und nach dem islamischen das Jahr 1427), so wie es 2000 geworden ist und nichts ist passiert, und es wird weitergehen mit dem Radau, dem Gebrülle, es werden weiterhin alle Dusseligkeiten und Gemeinheiten begangen werden, die man in der letzten Woche auch schon begangen hat.

one by one
the guests arrive
the guests are coming through
the broken-hearted many
the openhearted few
...
and those who dance
begin to dance
and those who weep begin
and welcome welcome cries a voice
let all my guests come in

those who dance
begin to dance
those who weep begin
and those who earnestly are lost
are lost and lost again

leonard cohen, the guests

 

  • 3.1.2008

 

Und noch eins zu Herrn Seidl von der FAZ (s. 23.12.07):

Ich lasse mir von Leuten, die Gewalt für ein Mittel halten, nicht beibringen, wie ich zu leben habe, und von Leuten, die sich von Leuten, die Gewalt für ein Mittel halten, zu einer Haltung herausfordern lassen, auch nicht. Da verwende ich lieber meinen eigenen Kopf und nicht den von Herrn Seidl oder den von Terroristen, denen meine Lebensweise nicht passt und die meinen, mich und meinesgleichen wegen meiner Lebens- und Denkweise kritisieren, bevormunden oder wegbomben zu sollen. Da kann er aber lange warten, bis er das erlebt. Der Herr Seidl.

(Der regt mich aber auch auf, der Herr Seidl. Warum bloß? Vielleicht, weil man ihm mehr Klugheit unterstellen sollte, er sich aber nur als Klugscheißer herausstellt, den verblendeten Gewalttätern aber, die es nicht besser wissen können, weil sie es nur so gelernt haben von Kindesbeinen an, die wegen 73 oder wie vieler Jungfrauen und für Sex ohne Ende ins Paradies wollen (Na, die werden sich aber wundern, die Jungs; und was ist mit den weiblichen Bombern? Was kriegen die? Jungmänner? Das ist doch ein Debakel...!), denen sehe ich ihre bornierte Haltung nach? Vielleicht aber auch, weil ich hier Fanatiker voreinanderstehen sehe, und von einem von den beiden hätte ich's nicht erwartet.)

 

  • 10.1.2008

 

Skizzen 16

Simone de Beauvoir stellt fest, dass Albert Camus intelligente Frauen nicht ertrug. Wie dem auch sei (ich war nicht dabei): ich ertrage dumme Menschen um mich nur ausgesprochen ungern. Borniertheit, Gemeinheit und vor allem Dummheit, die regelmäßig begleitet ist von unserer größten Schwäche, der Phantasielosigkeit, ist die Ursache extremster Übel.

Männer und Frauen? Ich sehe außer dem anatomisch-biologischen den Unterschied nicht. Erst und sehr lange sind wir Menschen (na ja), dann Männer oder Frauen. Ich blute nicht ein Mal im Monat aus der Scheide, na und? Dafür pinkeln sie nicht im Stehen in den Schnee, das ist doch nicht der Unterschied. Östrogene, Testosteron, ein im dorsalen Bereich dickerer Corpus callosum? Albern. Ich habe nicht nur kein Problem mit intelligenten Frauen, ich weiß Intelligenz sogar sehr zu schätzen. Und in meiner Männlichkeit, derer ich mir bewusst bin, fühle ich mich auch nicht in Frage gestellt.

 

  • 12.1.2008

 

Ein Aufsatz aus dem SPIEGEL, 1/2008, S. 34-35, den ich lesenswert finde.

 

  • 31.1.2008

 

„Indem wir die Welt finden, wie wir sie finden, vergessen wir alles, was wir unternommen haben, um sie als solche zu finden, und wenn wir wieder daran erinnert werden, wenn wir unseren Weg bis zur Bezeichnung zurückverfolgen, finden wir wenig mehr als ein gespiegeltes Spiegelbild unserer selbst und der Welt. Im Gegensatz zu dem, was gewöhnlich angenommen wird, enthüllt eine Beschreibung die Eigenschaften des Beobachters. Wir, die Beobachter, erkennen uns selbst, indem wir erkennen, was wir anscheinend nicht sind, die Welt.“

Francisco J. Varela, A Calculus for Self-Reference


„... der Mensch hat nicht Natur, sondern er hat Geschichte. Der Mensch ist kein Ding, sondern ein Drama. Aber der Mensch muss nicht nur sich selbst schaffen, sondern das Schwierigste, was er tun muss, ist entscheiden, was er will. Ob als Original oder Plagiator, der Mensch ist der Romandichter seiner selbst. Unter diesen Möglichkeiten hat er die Wahl. Infolgedessen ist er frei. Aber wohlverstanden, er ist frei aus Zwang, ob er will oder nicht.“


José Ortega y Gasset, 1952, Geschichte als System

"Wage es, deinen Verstand zu benutzen..." (Kant) Ja, das ist offensichtlich leichter gesagt als getan. Das ist wie Fahren mit einer hoch komplizierten Maschine: jeder kann den Namen Ferrari aussprechen, aber wenn es darum geht, dieses Ding zu benutzen, dann stellt es sich sehr schnell heraus, dass es doch einer Menge Übung und Erfahrung bedarf. "Ich denke..." ist meist schon nach den ersten Worten mit einem "Nein, tust Du nicht." zu beantworten. Denn was dann meist genannt wird, ist die Reproduktion von Ergebnissen, die Andere vorgedacht haben. Es ist ein schwieriges Unterfangen.

An den beiden oben genannten Zitaten dargestellt: Wenn meine Beschreibung eine Beschreibung meiner selbst ist (Varela) und ich mich selbst erfinde, indem ich mich beschreibe (Ortega y Gasset), dann ist die Welt, so wie ich sie vorfinde, meine Erfindung. Nun gut. Aber wenn das so ist, warum ist dann die Welt so oft so unbequem und schmerzhaft? Glauben wir denn wirklich, dass wir über die Welt reden, wenn wir ihr Widrigkeit unterstellen, in diesem besonderen Falle wirklich wirklich? "...wurde ich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum ersten mal empfänglich für die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt." Der Welt ist es völlig egal, wie wir sie finden.

 

  • 5.2.2008

 

Skizzen 17

"Mutter warf Kinder aus Feuer-Haus."

Geht es denn eigentlich noch hirnverbrannter, herzloser und ekelhafter?
Eine solche widerwärtige Schweinerei... sie kübeln tatsächlich ihren Dreck.
Wie tief in die Jauche des eigenen Schwachsinns kann man absinken und leben!

Und die Produzenten dieses geistigen Drecks lassen ihre Hirnkrankheit Tag für Tag
vor die Füße unserer Mitmenschen fallen und werden auch noch dafür honoriert,
indem man ihnen ihr Geschmiere abkauft und sich nicht ekelt, solche menschliche
Verderbtheit anzufassen, möglicherweise auch noch beim Frühstück.
Einen schönen Tag noch.

Dafür haben die Redakteure dieses Drecksblattes lebenslänglich RTL2 verdient.
Und zwar bei voller Lautstärke. Aus drei Fernsehern. Tag und Nacht.
Diese Mischpoke wird noch nicht einmal verstehen, wofür.
Und das ist dann fast schon wieder beruhigend.
Der einzige Triumph, der mir bleibt: ich verriete es ihnen nicht.

 

  • 6.2.2008

 

...Aber sehen Sie doch genauer hin! Wir wissen ja nicht einmal, wo das Lebendige jetzt eigentlich lebt und von welcher Art es ist und wie es heißt. Lassen Sie uns einmal allein sein, ohne Bücher, und wir werden sofort in Verwirrung geraten und ratlos sein und nicht wissen, wo wir uns anschließen und was wir festhalten sollen, was wir lieben und hassen, verehren und verachten sollen. Wir halten es sogar für eine Last, daß wir Menschen sein sollen, Menschen mit wirklichem, eigenem Leib und Blut; wir schämen uns dessen, betrachten es als Schande und möchten so etwas wie neuartige Universalmenschen sein. Wir sind Totgeburten und werden seit langem nicht mehr von lebendigen Vätern gezeugt, und das gefällt uns mit der Zeit immer besser. Wir kommen allmählich auf den Geschmack. Bald werden wir ein Mittel aufindig machen, um aus der Idee geboren zu werden. ...

Fjodor Dostojewski, Aufzeichnungen aus dem Untergrund

 

  • 9.2.08

 

Heute hat mein Sohn Adrian Geburtstag. Er wird zwölf Jahre alt. Wir haben uns seit neun Jahren und drei Monaten nicht gesehen. Ich habe ihn nicht einen Augenblick seines Lebens vergessen, und dass sein Papa ihn nicht mehr sehen will, stimmt nicht und hat nie gestimmt. Wer immer dir das gesagt hat, hat gelogen.

 

  • 28.2.2008

 

Der Zorn

ist ein elementarer, starker emotionaler Zustand, der gegen eine Person oder gegen eine Gruppe gerichtet ist, im Gegensatz zur Wut, die mehr in alle Richtungen zugleich explodieren kann, sich jedenfalls ungerichtet ausbreitet.
Als Todsünde ist der Zorn dem Menschen untersagt; er ist Satan zugeordnet wie Luzifer der Hochmut, Mammon der Geiz, Leviathan der Neid, Asmosdeus die Wollust, Beelzebub die Völlerei und Belphegor die Faulheit.
Johannes Paul II. nennt 1984 „denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewusst und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht.“ Es gibt sie also noch, die Todsünde. Nach traditioneller Lehre der katholischen Kirche zieht die Sünde den zweiten Tod, die Höllenstrafe nach sich, wenn man mit einer Todsünde im Herzen stirbt. Die Vergebung der Todsünde kann nur in der Beichte oder durch vollkommene Reue erreicht werden - auch bei vollkommener Reue ist die schnellstmögliche Beichte jedoch Pflicht.

Aber:


Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser.

Bertold Brecht: „An die Nachgeborenen“

 

In seinem Zorn zerschlug er alles, was sie noch verband, verbrannte, zerstörte, zermalmte und zerdrückte es, er warf es von sich und spie es aus aus seinem Munde, er zerstreute es in alle Winde und vernichtete es so vollständig, dass kein Atom mehr übrig blieb; er zerrieb und zerquetschte es zwischen den Steinen, grub es dem Erdboden unter und verbrannte die Erde in der Furcht, es könne Wurzeln schlagen und sich unterirdisch ausbreiten; er trampelte es in Grund und Boden, stampfte darauf herum, er hieb und stieß und schlug und hämmerte und stach und quetschte, drückte, rüttelte, schleuderte und trat darauf ein, sprang darauf herum, bis ihm der Schweiß das Gesicht hinunter lief; er verfluchte und verdarb, er zerstieß und zerriss, er zerknitterte und zerstörte, vernichtete und kratzte aus und verbrannte zu Asche, was übrig geblieben war. Dann begann die Raserei. In ihr überschlug er sich in sein eigenes Inneres, kreischte mit diabolischem Unterton, äußerte sich in den hässlichsten Tönen, verfluchte öffentlich und geheim, stieß Anklagen aus in Wort, Schrift und Bild, stieß und trampelte und sprang darauf herum, stampfte und stampfte und zermalmte, bis nun wirklich nichts mehr übrig blieb. Und um ganz sicher zu gehen, zündete er noch eine Bombe darüber an. Ira furor brevis est, dachte er sich, der Zorm ist eine kurze Raserei. Dann begann der lange Akt des kalten Zorns. Dann wurde es ganz kalt um ihn, und er fing an zu planen. Alles würde er vernichten und kaputt machen, der Lächerlichkeit anheimgeben, in die Gosse stoßen und dem gesellschaftlichen Tod überantworten, sich die Daten besorgen und sie benutzen, alles, was er in Erfahrung bringen konnte, er würde informieren, wen er informieren musste, würde den richtigen Stellen zustecken, was zuzustecken war, die Zahlen verraten, die Daten notieren, die Fakten verrücken, Daten nutzen, wie nur der Zorn sie nutzen kann. Er war furchtbar im Angesicht des HErrn, dass es nur so krachte und spritzte.

 
  • 1.3.2008

 

Deutschlad quatscht sich leer (Telekom)? Ab wann man wohl Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses erstatten kann. Mit Zeitgenossen, die für diesen Mumpitz bezahlen oder ihrem Geldgeber empfehlen, dafür zu bezahlen, die Muttersprache gemeinsam zu haben, ist unschön. Und das muss doch auch noch Gremien passiert haben, Leute, deren Aufgabe es ist, das zu beurteilen. Denen ist nichts aufgefallen?

Deutschland spart sich reich (Postbank)? Man kann also wirklich jede schwachsinnige Behauptung aufstellen und offenkundige Lüge erzählen, und es macht doch nichts, es kommt nicht mehr drauf an, es kommt doch keine große Hand herunter und reißt den ganzen Schlamassel ab und zerlegt das Ärgernis zu dem eklen Hirngewimmel, das es sowieso schon ist. Niemand hat Erbarmen und macht Schluss.

Es könnte mir ja nun völlig egal sein, was kümmert es mich, wie hier verblödet wird, aber diese ekelhafte Geistesverrottung drängt sich mir Tag für Tag auf, säumt meine Wege und steht herum, kotzt sich mir in den Weg, entblödet sich nicht; das steht an allen Ecken und buhlt um Aufmerksamkeit, das schreit mich an, dass ich nur annehmen kann, Dieter Bohlen habe sich inzwischen auch diesen von Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit geprägten Teil des Alltags unter seinen beschissenen dummen Ballermann-Hammer gerissen. Die Gosse reißt die Fresse auf. Widerlich.

 

  • 24.3.2008

 

Bin ja lang nicht mehr hier gewesen, oder? Aber es wurde nichts besser in der letzten Zeit. Der Ekel geht einfach immer weiter, oder? "Wir haben uns an den Schwachsinn gewöhnt, an eine Situation, in des es völlig irrelevant geworden ist, was wir sagen und ob es die Wahrheit ist oder nicht, geschweige denn, dass wir sie erkennen. Was wir haben, ist das Zwielicht der Unterhaltungsindustrie, die alles gleich und billig ausleuchtet, selbst die besten Zwecke, für die sie sich ins Zeug legt." (Matthias Matussek, Der Spiegel 12/2008, S. 156, Macht und Gewissen)

 

  • 25.3.2008

 

Skizzen 18

Ich kann es mir gar nicht leisten, Erkrankungen an den Ohren zu haben, weil ich ja sonst so eine alberne Inkamuütze tragen müsste. Und das steht nun überhaupt nicht zur Debatte.

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Es ist bedauerlich, anerkennen zu müssen, dass es den Frauen leicht gemacht wird, ihren Körper zu verabscheuen. Denn wer mag schon gerne etwas anfassen, was der Besitzer selbst ekelhaft findet!

 

  • 3.4.2008

 

Spiegel-Titel 14/2008 über "Die Sprache des Gehirns"

Es wird beschrieben, wie es der Neurologie allmälich gelingt, das Geheimnis der Erinnerungsspeicherung zu lüften oder wie es möglich ist, mit Gedanken Computer zu steuern, indem Chips in das Gehirn implantiert werden. Diese Technik könne beispielsweise Menschen wie Stephen Hawking oder anderen motorisch völlig Gelähmten das Leben erleichtern. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Zitate, die ich dankenswert finde, weil sie zum Nachdenken anregen.

"Der Hirnforscher Anders Sandberg von der University of Oxford meint es ernst, wenn er verkündet: "Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir unsere Gehirne eines Tages auf einen Computer laden können - was uns eine Art von Unsterblichkeit bescheren wird."

Was nun "eine Art von Unsterblichkeit" bedeuten mag oder wie das Originalzitat gelautet hat, das weiß ich nicht. Wenn allerdings jemand aus meiner Stammzelle einen identischen Klon von mir produzierte, so wäre das doch nicht ich: sein Schmerz bliebe mir gleichgültig, seine Erkenntnisse blieben folgenlos für mich. Die Art von Unsterblichkeit würde vielleicht die Illusion für die Nachwelt sein: eine aufgemotzte Version des altertümlichen Fotos im Familienalbum. Papas Gehirn auf dem Laptop, Einsteins Wissen im PC für die Nachverwertung. Die Besatzung des Kasperltheaters gruselt sich, weil sie über die Leiden es neuen alten Hirns nachdenkt, aber wie gesagt: ich bin das nicht. Ich bin da nicht drin.

Hirnforscher Miguel Nicolelis on der Duke University in Durham, North Carolina: "Den neuralen Code [des Gehirns] zu knacken bedeutet zu verstehen, wer wir eigentlich sind."

Nein. Also ich wüßte nicht, wer ich eigentlich bin, wenn ich meinen neuralen Code knacken würde, so wenig wie mir die Kenntnis meines genetischen Codes auf dem Weg zur Selbsterkenntnis weiterhilft.

Ich bin nicht mein neuraler oder genetischer Code, ich bin nicht mein Gehirn oder meine Gene. Mein genetisch identischer Zwilling ist ein anderes Individuum, Empathie oder Resonanz hat nichts damit zu tun.

 

  • 5.4.2008

Donner ist gut und eindrucksvoll, aber die Arbeit leistet der Blitz. (Mark Twain)

Es gibt kein angenehmeres Geschäft, als dem Leichenbegräbnis eines Feindes zu folgen. (Heinrich Heine)

  • 4.5.2008

 

Nein, ich habe das Interesse an dieser Seite nicht verloren, sonderm mein Computer hat die Verbindung zu Laufwerk C verloren, und es ist doch eine ganze Menge Aufwand, das alles wiederherzustellen. Nun ist es mir gelungen, unter Zuhilfenahme kenntnisreicher Freunde, und alsbald kann es weitergehen mit meinen Einträgen. Aber noch ein wenig Geduld, ich muss erst noch andere Dinge erledigen. In der Woche nach Pfingsten kann es dann weitergehen. ("Sag mal Thomas, was machst Du eigentlich, wenn sich herausstellt, dass sich überhaupt kein Mensch für deine Gedanken zum Tage interessiert?" - "Nix. Ich mache weiter wie bisher. Ich glaube ja auch sonst nicht, dass sich jemand interessiert. Das ist vielleicht interessant als Klatsch und Tratsch, aber ansonsten? Ich geb mich da keiner Illusion hin.")

 

  • 12.5.2008

 

("Also wie es aussieht, interessiert sich doch jemand für die Gedanken zum Tage und nimmt sie zum Anlass, seine eigenen Gedanken fortzusetzen. Das ist dann allerdings wieder schön.")

So, jetzt ist mein Laufwerk C ist wieder dort, wo es hingehört und ich bin wieder im Lande. Und was ganz ungewöhnlich ist, ich habe einige Minuten Zeit am Tag, um ein paar Einträge zu machen.

Allen, die auch ein wenig Zeit über haben, möchte ich vorschlagen, diesem Link zu einem Text von Herrn Martin Heidegger zu folgen: Der Feldweg.pdf. Meine Empfehlung ist, den Text langsam zu lesen oder ihn jemandem vorzulesen. Ich verdanke die Kenntnis dieses Textes Herrn Prof. Dr. Hinderk Emrich, dem ich hiermit meinen Dank aussprechen möchte.

Plötzlich, für einen Augenblick und mit unbekanntem Anlass, tun sich der Wandernde und die Welt zusammen, und mit winziger Bewegung ist alles Zerbrochene (W. Benjamin) geheilt.

 
  • 16.5.2008

history is an angel
being blown backwards into the future
history is a pile of debris
and the angel wants to go back
to fix things
to repair the things that have been broken
but there is a storm
blowing
from paradise
and this storm keeps blowing the angel
backwards into the future
and this storm
this storm is called progress

Laurie Anderson, The Dream Before, mit einer Übersetzung von Walter Benjamin

 

Das hier habe ich gerade in meiner Zitatesammlung gefunden:

Bergbau und Reinkarnation
Der Spiegel, 5/2002, Seite 141: „1520; Im Tiroler Erzbergbau sind etwa 50000 Menschen beschäftigt.“ 50000 unter Tage verreckende Schicksale von 50000 Menschen, die sich von dir und mir nicht unterscheiden.


  • 17.5.2008

Am Bahnhof fiel mir heute morgen auf: man könnte ja (als Erwachsener, für Kinder ist das noch nichts) einen Ausflug machen, "Ein Tag am Bahnhof " mit all inclusive, Kuriositäten kucken. Da gäb's aber was zu sehen. Also wenn mir nach Kuriositäten ist, gehe ich demnächst zum Bahnhof. Und einigermaßen gut essen kann man da auch, man könnte sich sogar anschließend die vollendete alkoholische Kante geben, mit allem, was das Herz begehrt (außer Bunnahabain, den gibt's dort nicht); der Nachschub ist für alle Zeiten gesichert. Dann noch ein Klappsofa ultraleicht mitnehmen, eines von diesen blauen, und eine gute Ausrede für die Bahnpolizei vorbereiten (soziologische Studien im Landesauftrag oder so ähnlich), und der Tag ist gerettet.

  • 22.5.2008

 

Ein Gespräch mit Politikprofessor Kishore Mahbubani (Singapur) im SPIEGEL 21/2008, 61 ff., das ich sehr lesenswert finde. Ich teile in dem Punkt des Relativismus überhaupt nicht seine Argumentation: Weil ihr Mist gebaut habt, ist unser Mist nicht so schlimm. Ansonsten aber vertritt er eine Position, die meine eigene in Frage stellt und mich animiert, diese zu überdenken.

 

  • 28.5.2008

 

Ansichtsdebatte zwischen A und B zum Thema: "A' oder B'?" Beispielsweise: Ist Demokratie richtig, existiert Gott, ist mein oder dein Lebensstil besser, sollen wir Sex haben oder nicht, Sozialstaat oder Marktwirtschaft? So zu beobachten im Zug am Platz nebenan, im Fernseh in den Talkshows, beim hitzigen Streit des Pärchens im Park gegenüber.

A: "Ich glaube A' und habe die Argumente a', a'' und a'''."

B: "Diese Argumente kenne ich und lehne sie ab. Ich glaube B' und habe die Argumente b', b'' und b'''."

A: "Diese Argumente kenne ich ebenfalls (schon lange) und lehne sie ab."

Stellen Debatten eigentlich etwas anderes dar als einen Wetzstein, an dem man seine argumentativen Messer schärft? Der weiße Mann redet zu laut und streitet zu viel. Debatten sind wie die Demokratie an sich eine gute Idee, nur bieten sie Tagebuchfälschern in Sachen Biografie, Rechthabern in eigener Sache, Opportunisten und Demagogen ein Forum. Was ändert sich durch diese Art der Auseinandersetzung? A und B haben mal ihren Standpunkt vertreten. Ja. Sie haben mal ihren Gefühlen Ausdruck verliehen. Das musste mal sein, oder? Sie haben sich auf den langwierigen Weg der Kompromissbildung begeben. Es erinnert mich an die Definition von Medizin, in der es heißt, Medizin sei die Kunst, den Patienten so lange bei Laune zu halten, bis die Natur die Sache von selbst heile (muss ich als Mediziner gerade sagen, was!). Sehe ich das zu pessimistisch? Frag ich mich. Und warum habe ich hier auf meiner Homepage eigentlich kein Gästebuch oder Chat-Forum! Fragte man mich.

 

  • 6.6.2008

 

TELEFON I

Jetzt weiß ich es: Die Allgegenwart des lauthals telefonierenden Mitmenschen, aus dessen Innenleben man abschreckende Nichtigkeiten erfährt, ist mir eine ziemliche Belästigung, vor allem morgens, wenn ich noch müde und durchlässig bin. So weiß ich nun, was der Mann der Frau hinter mir am zweiten Urlaubstag gesagt hat. (Was könnte hier eigentlich eingreifen? Scham? Sozialverhalten? Diskretion?) Und obwohl ich das nie habe wissen wollen, weiß ich es nun doch. Jetzt weiß ich es, oder, um mit dem großen Ernst Jandl zu sprechen: Da haben, du Sau.

DANKE!

(Sollte irgendjemand den Artikel aus der SZ mit Klaus Kinski im Titelbild ("Halt's Maul, Du Sau!" oder so ähnlich, über Choleriker) haben, wäre ich für eine Kopie sehr dankbar. Müsste aus dieser Woche sein.)

 

  • 12.6.2008

 

(Danke, Karin, für die Zusendung)

Nämlich aus der ZEIT, nicht der SZ, vom 5.6.08, ein Hohelied auf den Choleriker. Ich zitiere:

Wem der augenblickhafte Zorn fehlt, dem fehlt die Selbstachtung
Nicht jeder Auftritt des Cholerikers kann vollendet gelingen. Deshalb haben sich Figuren wie Giovanni Trapattoni so tief in unser kulturelles Bewusstsein gebrannt. Der ehemalige Trainer von Bayern München beschimpfte die eigenen Spieler (»In diese Spiel es waren zwei, drei oder vier Spieler, die waren schwach wie eine Flasche leer!«), ehe er mit dem legendären »Ich habe fertig« feierlich und nicht frei von Stolz den Raum verließ. Helmuth Plessner hat ausgeführt, dass jeder an einem Punkt »die Karikatur seiner selbst« wird, da das Innere, das man zur Sprache bringen möchte, an den Grenzen des Körpers und seiner Ausdrucksmöglichkeiten bisweilen zerschelle. Dies ist die Grundlage aller Komik der Anschauung, weshalb der Choleriker besonders viel riskiert. Er fordert ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit für seinen Ausbruch, in dem er dann völlig allein ist, fernab jeder Klugheitslehre, jeder Kosten-Nutzen-Rechnung, jeder ökonomischen Vernunft. Er feiert, indem er alle Ketten von sich reißt, eine Selbstbefreiung, mit der er sich bisweilen selbst beschädigt.
Der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen schreibt, dass die kalte persona der Verstellungskunst immer in Krisenzeiten besonders hell leuchte. Das Verschwinden festgelegter Lebensläufe, der beständige Auf- und Abstieg prekärer Existenzen, das notorische Schließen von Fabriken und ihre Neueröffnung an anderer Stelle, der Zusammenfall von Berufs- und Privatleben, das Umherreisen des Pendlers, das Vagabundieren noch des sesshaftesten Gemüts, kurz: die verschärften Wettbewerbsbedingungen dulden offenbar eine unkluge Figur wie den Choleriker nicht mehr. Er hat sich in die eigenen vier Wände verzogen, so wie die Konflikte der Arbeit nicht mehr auf der Straße, sondern im Inneren ausgefochten werden. Wutausbrüche werden allenfalls noch anonymisiert in Internetforen artikuliert, feige vom heimischen Sessel aus. Der Choleriker, der noch öffentlich und mutig zum Vorschein trat, widersetzte sich jeder reibungslosen Verwertung. Er ist ein Ventil, ohne das Zivilisation nicht auskommt; er schwächt sie nicht, sondern stärkt sie.
TEIL 3
Sozialpsychologen haben herausgefunden, dass die meisten Gewalttaten aus kalter Planung erfolgen. Die ist dem Choleriker völlig fremd, weshalb er auch nicht zum Terroristen taugt, der seine Tat mit kühlem Kopf vorbereitet. Wem der augenblickhafte Zorn fehlt, das wusste schon Aristoteles, dem fehlt die Selbstachtung. Der Mangel an Selbstachtung aber ist eine Hauptquelle fundamentaler Zerstörungslust.

Tja, und wie peinlich es sich hinterher anfühlen kann, wenn man feststellt, dass einem mal wieder die Pferde durchgegangen sind und man irgendwie die Hose runtergelassen hat, und alles schaute pikiert zu Boden. "Da vorne tobt einer. Schau dir das mal an. Ist das nicht peinlich irgendwie? Am Ende ist der betrunken." Man macht sich zum Hanswurst der eigenen Emotionalität und übersieht dabei, dass komplementär die Umgebung mit ihrer coolen Contenance wirkt, als sei sie (die Emotionalität) tot: sie ist erloschen, sie ist erloschen und man sieht sie nicht mehr.

 

  • 15.6.2008

 

TELEFON II

... und auch die Zahl der lauthals telefonierenden Mitmenschen, die dazwischen ihr Handy gar nicht mehr aus der Hand legen, wächst unentwegt. Sogar unter Erwachsenen, nicht nur unter den Halbwüchsigen.

Ein junge Frau wachte neulich im Zug mir gegenüber auf, im Schlaf hatte sie die Hand halb unter ihrer Handtasche liegen. Wacht also auf und schaut auf das Handy, das sie auch im Schlaf noch in der Hand gehalten hatte, schaut, ob sie eine sms bekommen hat, sieht, dass nicht und schläft weiter.

Anders gesagt: Gibt es etwa Menschen, die nur noch für ihr Handy wach werden? Und wenn sie eine sms bekommen, was steht dann da? Oh je, das will ich lieber gar nicht wissen.

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Der Welt ist es völlig egal, wie wir sie finden. Sie wird nicht einmal davon berührt. Es macht ihr einfach nichts, wenn wir ihr die gerupften Hühner unseres Unverstandes um die Ohren hauen, es ist ihr gleichgültig, sie merkt es nicht einmal. Und woher ich das weiß? Nun, sie hat es mir gesagt. Ich habe sie getroffen, und sie hat es mir anvertraut. Aber selbst das ist ihr egal.

Franz Kafka: Die Bäume
Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.

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Ich habe beschlossen, dass ich auch noch in loser Reihenfolge ein Liste blöder Namen aufmache. Los geht's:

  • Rolf Mützenich, SPD-Abgeordneter
  • Roswitha Müller-Piepenkötter, Justizministerin von NRW
  • Constanze Stelzenmüller vom German Marshall Fund
  • Heinz Riesenhuber, auch so einer

Bevor man als Erwachsener merkt, was man da hinten dran hängen hat, hat man sich schon daran gewöhnt.

 

  • 20.6.2008

 

... als ich dann auch noch unsere Kanzlerin im Fernseh sah, wie sie beim 1:0 gegen, ähm, Dingsbums jubelte, ihre Mädchenfäustchen hob und irgendwem, ich will wirklich nicht wissen, wem, so was wie high-five gab, da wurde mir endgültig klar: ich will eine Monarchie. Dieser zum indifferenten Pöbel tendierende Wackeldackel ist eine intellektuelle, menschliche und mediale Zumutung, wobei mir der mediale Missgriff ja sogar noch wurscht ist, weil: das kann man ja abschalten. Aber der Rest: es muss alles sein, nicht wahr?

 

  Nein, hier ist jetzt mal Schluss. HIER geht es zur nächsten B-Loq-Seite.

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