Thomas' Gedanken zum Tage und zur Zeit

 

 

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Wenn das mein Leben ist, dann soll's das auch sein.

TS

  • 1.4.2009

 

Gerade wollte ich fluchtartig diese Stadt verlassen, da es ja hier keine Ruhe gibt von Leuten, die sich hauen, dann bluten, schließlich leiden und sich versöhnen, und schon stelle ich fest: Der Spuk verfolgt mich. Die Geister, die ich rief, sie kamen, die werd ich nun nicht los. Ich glaube, ich sitze in einem Alptraum fest, und das wird jetzt immer so weitergehen, und das bei verschlossenen Türen. Es gibt keinen Ausweg. Wo ich auch hingeh, die sind schon da. Und wenn ich bis zum Ende der Welt reise, das bekanntermaßen irgendwo in Straubing liegt: sie sind schon da! Das nimmt kein Ende. Ich kann mich verstecken, wo ich will, so schnell laufen wie ich kann, so sehr abschütteln, was da lastet auf den Schultern der Seele, wie ich nur zu schütteln vermag, wen treffe ich, wer ist schon da, wer wird immer da sein bis ans Ende unsrer Tage? Wer? WER? Richtich. Er und Sie. Man kennt sie. Und was tun sie, während sie da sind, ohne Unterlass und in einer Endlosschleife gefangen, arme Luder auch sie, Gefangene ihres eigenen Geworfenseins in die Welt? Was? WAS? Eben: reinhaun, bluten, leidtun, vertragen. Ohne Gnade und Erbarmen, und während ich genau hinschaue, sehe ich, dass das nun schon seit Jahren so geht, und ich habe es erst vor kurzem, am 25.2. nämlich, um genau zu sein, wahrgenommen.

Wer das versteht, soll es mir erklären. Ich versteh's einfach nicht.

In diesem kuriosen, abenteuerlichen Durcheinander, das wir Leben nennen, gibt es bisweilen wunderliche Stunden. Die ganze Welt kommt uns dann wie eine Posse vor, deren Witz wir nicht recht einsehen; wir haben nur den stillen Verdacht, daß all der Unfug auf unsere Kosten geht. Allerdings bringt uns dann auch nichts aus der Fassung, alles erklärt sich von selbst. Wir schlucken jede Begebenheit, jedes Credo, jeden Glauben, jede Weltanschauung, jeden harten Gegenstand, einerlei ob sichtbar oder unsichtbar, wie ein Vogel Strauß mit robuster Verdauung, der auch Gewehrkugeln und Feuersteine gierig hinunterschlingt. All den kleinen Ärger und Verdruss, drohendes Ungemach, Leibes- und Lebensgefahr, ja selbst den Tod nehmen wir hin als einen freundschaftlichen Tip, einen vergnügten Rippenstoß, den uns der unsichtbare, unbegreifliche alte Schalk mit List und Schläue verabreicht. Diese getroste Verzweiflung kommt uns aber nur in den düstersten Augenblicken an, nur wenn's bitter ernst wird, und was wir eben noch zentnerschwer genommen haben, gehört dann auf einmal mit zur allgemeinen Posse.

Hermann Melville, Moby Dick

 

  • 6.4.2009

 

Gibt es eigentlich eine Kurzzeitdepression? So etwas über zwölf Stunden? Einen Kurzzeitabsturz? Wenn ja, dann hatte ich eine: als mir so war, als sähe ich meine Tochter wieder, mein erstes Kind, das mir durch die menschliche Dummheit, Gemeinheit und Blindheit entnommen worden ist. Ein so schrecklicher Abgrund, der sich mir in einer beliebigen Bahnhofsvorhalle entfalten kann, wenn mir wieder einmal bewusst wird, was dieses Menschenkind für eine Wunde in der Seele trägt. Diese eigenen grausamen Abstürze immer wieder, diese Verluste… Ich selbst aber habe es so gewählt, als ich beschlossen habe, dass diese Wunde nicht heilen soll, weil mir die Lüge zwei wahre Kinder aus dem Herzen gerissen hat und dass so etwas nicht verheilt. Diese Wolfsburger johlende Mischpoke! Vor über zehn Jahren haben diese dummen Menschen, die lügen und behaupten, meinen ersten zwei Kindern am nächsten zu stehen, mich verleumdet, haben behauptet, ich hätte meine Kinder, beide!, sexuell missbraucht. Das ist, was sie behauptet haben, und ich sage, sie haben es gesagt, um mich aus dem Leben meiner Kinder streichen zu können. Ich glaube, ich sollte mich bei einem Rechtsanwalt erkundigen, was geschieht, wenn ich ihren Namen hier auf meiner Homepage preisgebe, wenn ich sage, dass es die Familie meiner ersten zwei Kinder war, die sich so aus unauslöschlichen Lügen speist. Wie denn soll man beweisen, dass man etwas nicht getan hat, das keine Spuren hinterlässt! Aber diese Leute haben es behauptet, und ich entnehme ihren Reaktionen auf die folgenden Geschehnisse, dass sie es aus lauter Unwissenheit behauptet haben. Das war Dämlichkeit, Gedankenlosigkeit, noch dazu seelsorgerisch beraten! (Hallo Wolfgang, du Priester der katholischen Kirche! Ich vergesse Dich so wenig, wie du mich vergisst!) Ist denn Dummheit strafbar? Das Ergebnis war die alsbaldige Trennung meiner Kinder von ihrem Vater, die Verleumdung ihrer Wahrheit, die Zerstörung ihrer Welt. Diese dummen Menschen müssen das gewusst haben und das Risiko eingegangen sein. Oder hat es nicht einmal dazu gereicht? Und nun muss ich damit leben, dass ein dummes Stück seine dämlichen Experimente mit der Seele nicht nur irgendeines Menschen macht, sondern mit der Seele meines Kindes. Meine Tochter war ein Papa-Kind, sie haben keine Ahnung, was das bedeutet, sie haben es ihr mit ihren verdammten Lügen aus der Seele gerissen. Kein Schmerz wiegt das auf. Mein Sohn war ein freundlicher kleiner Junge und sie haben ihn bei der Gelegenheit mit weiteren Lügen gleich mit auf ihre verlogene Seite geschafft. Keine Strafe macht das ungeschehen. Und was daraus geworden ist! Manchmal kann man sehen, wie wichtig ein liebender Vater für seine Kinder ist. Manchmal steht das Tor zur Hölle im Bahnhof von Bielefeld, und der Teufel ist ein zufällig herumstehender Sechzigjähriger, der nichts ahnt und dessen Namen zum Glück nie einer erfahren wird.

Das ist, was blieb:

 

  • 8.4.2009

 

Der Silvio Berlusconi hat den Obdachlosen des Erbebens in den Abruzzen geraten, den Aufenthalt im Lager doch wie einen Campingurlaub zu betrachten. Na, das nenn ich mal Chuzpe. Und die Toten sind dann ein Beitrag zur Rentenversicherung, oder? Und die Camper, die Angehörige verloren haben? Dazu ein bis zwei Fragen:

  • Ist Körperverletzung eigentlich in jedem Falle strafbar? Und was steht auf Beleidigung eines fremden Staatswichtels?
  • Wie mag wohl Brechhustendurchfall mit Bandscheibenvorfall sein? Wär das nicht was für bis indezente ältere Herren?

Wir sind die Menschen auf den Wiesen
Wir sind die Menschen im Wald
Bald werden wir Menschen unter den Wiesen
Und werden die Menschen unter dem Wald
Das wird ein heiterer Landaufenthalt.

ernst jandl

Der Sommer
ist die Hölle.
Der Herbst dagegen
ist die Hölle.
Anders der Winter:
er ist die Hölle.
Erst der Frühling
ist die Hölle.

ernst jandl

 

  • 9.4.2009

 

Karen Duve plädiert im SPIEGEL für eine Welt ohne Gott, und es ist lesenswert, wie sie das tut.

 

  • 10.4.2009

 

Grundeigenschaften eines psychisch stabilen Menschen:

  • Selbstvertrauen,
  • den Willen, das eigene Leben zu gestalten,
  • die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen,
  • die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen,
  • Lust an der Herausforderung,
  • Lust am Erfolg und
  • Ziele, die das Leben sinnvoll erscheinen lassen.

 

  • 11.4.2009

 

Jetzt hat der Knallkopp aus Italien den Obdachlosen sogar angeboten, in seinen Villen und sonstigen Immobilien zu wohnen! Wie bescheuert geht's denn eigentlich noch! Bei der Gelegenheit traf sich auch das unbehauste junge Paar mal kurz wieder, zwischendurch, neben allem, was sie sonst so tun, und was tun sie? Richtig, er haut ihr eine, sie heult wie am Spieß, ihm tut's leid, und sie versöhnen sich. Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht und die Gewohnheit nennt er seine Amme. Folgerichtig ist der Lauf der Welt. Ich sagte doch, das kann man mit normalem Menschenverstand gar nicht bewältigen, was das bedeutet. Und mir fallen nur ein paar Zeilen aus Cohens The Guests ein:

and those who dance begin to dance
and those who weep begin
and those who earnestly are lost
are lost and lost again

So tut jeder seins. Und was machen wir heute? Obdachlose verarschen? Na, alter Papi Silvio, wenn das mal nicht ein Plan ist, wa!

 

  • 15.4.2009

 

Ich glaube, ich muss von jetzt an damit rechnen, dass er ihr, daraufhin sie, dann wieder er und schließlich sie beide an Fahrt aufnehmen. Und Dieter Bohlen singt dazu.

Ich 1.

Ich bin ein wenig überrascht, wie schwierig die Antwort zu sein scheint auf folgende Frage: Was ist das einzige im Leben, das du nicht verlieren kannst?

 

  • 19.4.2009

 

Ich 2.

Falsch: ich bin ziemlich überrascht darüber, wie schwierig diese Antwort zu sein scheint. Also, die Frage lautet:

Was ist das einzige im Leben, das du nicht verlieren kannst?

Also, Antworten erbeten an Thschnura@googlemail.com. Natürllich ist das kein Wettbewerb, und es gibt auch keinen Preis, aber es würde mich doch einmal interessieren, wie die Antworten lauten. Ich werde die Antworten kommentieren, wenn ihr es erlaubt. Bitte um kurze Erlaubnis dazu.

"Wir sind diejenigen, die von uns gesagt haben werden: so will ich sein." Über diesen Satz von Edmund Husserl habe ich am 17.5.2007 (B-Loq1) u.a. geschrieben:

"... die gesagt haben werden": wann ist das? In zehn Jahren? Oder heute? Ist es schon geschehen? Edmund Husserl jedenfalls lebte bis 1938. Ist also schon längst geschehen.

Und am 1.10.2007:

Oder meint dieser Satz diese Art von nachträglichem Gehorsam, in der ich sage, "so wollte ich ja sowieso sein", da ich keine Wahl hatte? Hinterher hat man's vorher schon gewollt? Er ist im Indikativ geschrieben, nicht im Optativ.

Und heute:

Wer das nicht glauben mag, möge an die frappierende Vehemenz denken, mit der selbst Menschen in prekärer Lage auf die eine oder andere Weise ihren status quo verteidigen, indem sie ihn erklären, rechtfertigen, begründen, sich zu Opfern machen und auf diese Weise fixieren, was ist. Gott, das Schicksal, die Gene, die Wahrheit, die Authentizität im genuinen Elend, der Status als geborener Verlierer, die anderen Menschen: ach, die Liste ist lang. Aber immer sind es die großen Begriffe, die jeder Vernunft, der Aufklärung, aber auch der menschlichen Barmherzigkeit widersprechen. Sie sind unbarmherzig, wo wir der Barmherzigkeit so bedürfen. So verteidigen wir mit pathetischem Timbre oder großspurig, jedenfalls aber aus Versehen den unglückseligen Zustand, als ginge es um unsere Haut, als wollten wir es partout nicht anders haben. Insofern also ist dieser Satz der schlüssige Beweis für den Konstruktivismus, der sagt: die Welt ist das, was ich daraus mache.

 

  • 1.5.2009

 

Was mich an Dieter Bohlen so anwidert, ist nicht, dass dieser grenzdebile Wichtigtuer in seiner kaltherzigen Art wehrlose Leute mit seiner großen Klappe runtermacht, da stimme ich den Berufszynikern bei, die sagen, dass sie ja nicht gezwungen werden außer von ihrer ruhmsüchtigen Ahnungslosigkeit, dass man sie also vor sich selbst schützen müsste. Viel entsetzlicher ist, dass so ein Bohlen nun schon den Zirkusanteil des cäsareischen panem et circenses (Brot und Spiele) liefert, dass es also bereits starke Reize geben muss, um an Bohlens Sendeabenden dann aber schon wieder zuverlässig die Straßen von aufbegehrenden Menschen frei zu halten. Dabei interessiert mich noch nicht einmal, ob er überhaupt eine Ahnung davon hat, dass er mit seinem schlechten Benehmen den Nummernclown einer Verblödungsindustrie gibt, oder ob er seine ghostwriter-Botschaft an die Jugendlichen glaubt, dass Leistung zum Erfolg führt, diesen zynischen Dreck muss er gegebenenfalls mit sich seinem Gewissen oder dem, was davon blieb, ausmachen. Ich glaube übrigens nicht, dass er eine Ahnung hat, ich nehme eher an, dass das sein voller Ernst ist.

Diese Entwicklung deutet darauf hin, und das ist die eigentliche Bohlen-Katastrophe, dass es nicht dabei bleiben wird,

  • dass sich zunächst vierzigtausend und später zehn ahnungs- und bewusstlose junge Leute mit immer demütigenderen Auflagen um eine Luftnummer von Superstar-Platz balgen werden und wir uns unterdessen über deren Sosein amüsieren;
  • dass sich drei in der Öffentlichkeit um eine Ausbildungsstelle als Friseuse, Fotograf oder Bäcker zu unserem Vergnügen balgen und wir dies als das Negativ der Vorgeführten harm- und ahnungslos verlachen, also im gleichen zynischen Zirkus den erwartungsvoll zahlenden Pöbel geben,
  • dass sich Mädchen und junge Frauen, abgefüllt mit Barbie-Träumen und rosa Hello-Kitty-Klamotten, mit totalrasiertem Körper dafür hergeben, in der Hoffnung, ein Topmodel zu werden, im Bikini und auf 8-cm-Absätzen die Knöchel zu brechen, um am Ende entweder überflüssige Fummel der Öffentlichkeit vorzuführen, Werbeikone zu werden (was für ein Ziel) oder wieder in der Versenkung zu verschwinden,

sondern dass beide Seiten, Bewerber wie Zuschauer, in ihrem verderblichen und eskalierenden Tun immer weiter gehen werden. Anstatt hinzugehen und den Sendeanstalten die Apparate abzubauen.

Im Zirkus von Rom hat es Blut im Sand der Kampfbahn gebraucht, um die Bevölkerung zu beschäftigen. Ich prophezeie Blut.

 

  • 2.5.2009

 

Ein Werbefuzzi, Jean-Remy von Matt, nennt die Aufgabe der Werbung: Aufs Herz zielen und die Brieftasche treffen. Er sagt das sogar öffentlich, im Spiegel: Wir wollen euer Geld. Für das ihr gearbeitet habt, während eure Kinder zu Hause angefangen haben, mit Drogen zu experimentieren. Er ist also ein Zyniker, aber Realist. Und dann sagt er uns: "Wir haben heute ... einen befreiten Konsumenten." Damit meint er uns, dich und mich. Uns beide Konsumenten. Du Konsument, ich Konsument. Alternativ: Verbraucher. Wir sind die Verbraucher. Du und ich im Verbraucherparadies. Befreit. So sieht diese Versammlung moralisch verkommener Nullnummern aus Politikern, Erben, Produzenten und Verkäufern uns. Als Verbraucher, denen sie sogar ein Ministerium spendieren, nämlich das Verbraucherministerium. Das die Spezies zu schützen vorgibt, von deren Lebenskraft und Arbeit sie schmarotzen. Und das wir uns also selber finanzieren müssen, denn die Mischpoke lebt vom Steuereinkommen des Staates, in dem wir leben. Und heißt es nicht sogar Ministerium für Verbraucherschutz, damit ihnen nur nicht die Abnehmer ihres überflüssigen Pofels ausgehen?

 

  • 16.5.2009

 

Ich 3.

Was ich nicht verlieren kann: mich selbst. Bei mir bin ich in Sicherheit.

Mein Haus, meine Kinder, mein Glaube: nicht sicher. Meine Erinnerungen: veränderlich, unzuverlässig. Meine Zuversicht: erschütterbar. Meine Fähigkeiten: auf Grundlagen angewiesen, die unzuverlässig sind. Was mir bleibt, bin ich in der Kontinuität der ständigen Veränderung. Nichts sonst hat sich mir als sicher erwiesen, und daher: mich selbst. Alle, die mehr wollen, werden enttäuscht, wenn sie die Leere gespendeten Trostes schmecken; wenn endlich der lang ersehnte Brief kommt, in dem alles steht, was sie wollten, aber es ist zu spät; wenn die scheinbar festen Fundamente wegbrechen und sie morgens um drei Uhr wach werden und ganz allein sind auf der Welt, alles schläft, einsam wacht, aber da ist keine Hand, nur die eigene. Und das muss jetzt reichen? Nun, ich finde, das ist mehr als genug. Ich bin immer schon da. Und habe ich nicht die Fähigkeit, die Möglichkeit, das Wissen und mich? Und wem das nicht reicht, der hat halt noch was vor sich, denn auf Jammern hört die Welt nicht.

Mich selbst kann ich nicht verlieren. Ich bin da, wenn ich erwache, wenn ich einschlafe und dazwischen. Wenn ich weine, lache, liebe, mich ekle oder aufrege: ich. Ich schaue in die Welt hinaus und sehe mich. Ich fliehe in den äußersten Winkel der Welt, um zu entkommen, ich lande in Auckland, und wer begegnet mir? In den Träumen, in den Schächten am Grunde der Seele, im ewigen Eis und in der Tiefe der See, am Elphinstone Reef, in meinen Erinnerungen und Gedanken, in den Tränen meines Kindes: ich. Ich sehe in deine Augen und was sehe ich? I can see two tiny pictures of myself, and there is one of them in each of your eyes.

 

  • 21.5.2009

 

Ich 4.

Antwort von Mel:

Die Sicherheit, dass der eigene Körper stirbt.
Beim geistigen und seelischen Tod bieten Religionen, Hoffnungen und andere Theorien ja mehr oder weniger umfassenden "Schutz" vor der Vorstellung, dass das Leben endlich ist. Dass der Körper nicht stirbt, habe ich jetzt so noch von keinem gehört.

Antwort von Antje:

... habe ich mir lange den Kopf zerbrochen, was man wohl als einziges im Leben nicht verlieren kann und dabei komme ich persönlich zu der Antwort: "die Verantwortung für das eigene Denken und Handeln".

Antwort von Karen:

Das Menschsein kann ich nie verlieren. Es ist nicht möglich, dass ich als Mensch abends einschlafe und morgens als Hamster oder als Maiglöckchen aufwache.

Aber diese Antwort stellt mich selbst noch nicht zufrieden.
- Wenn ich etwas verliere, kann ich es wieder finden.
- Wenn ich etwas noch nie hatte, kann ich es nicht verlieren.
- Wenn ich etwas verliere, fehlt es mir oder komme ich ohne es aus oder ersetze ich es durch etwas anderes?
- Wenn ich etwas finde, würde ich wissen, ob es mir bisher gefehlt hat?

Weiß ich vielleicht erst am Ende meines Lebens, was es gewesen wäre, das ich nie verloren habe???

Antwort von Lady:

Meine Erinnerungen und Gefühle.

Das Gefühl der Geburt.

Das Gefühl welches ein Neugeborenes in den ersten Minuten seines Lebens bei uns Menschen auslöst.

...

Nehmen kann mir auch niemand meine Erfahrungen. Positive wie negative. Gute wie schlechte. Ekelhafte wie wunderschöne.

Mein Kommentar:

Meinen Tod: Aber den habe ich nicht. Er ist mein bester Verbündeter, er ist mir sicher, er wartet auf mich (my death waits), aber er gehört mir nicht.

Mein Menschsein: Es ist vielleicht das, was ich meinte, dann allerdings etwas, das zu verlieren unmöglich ist, das reine Sein. Was für mich nicht eine moralische oder ethische Kategorie ist, die uns vom Pferdsein oder Schweinsein unterscheidet, denn das ethische Attribut des Menschseins verlieren Menschen immer wieder, indem sie Krieg führen und Menschen foltern. Und: Mann sein, Chef sein, Vater sein: wenn nur die richtig wüsten Dinge passieren, wenn die Welt verloren geht, ist es weg.

Die Verantwortung: ich kenne Menschen, die nicht mehr verantwortlich sind, weil sie mit Drogen oder Demenz voll und damit nicht verantwortungsfähig sind. Kann man also verlieren, wenn man nur die richtigen Drogen kennt.

Erinnerungen und Gefühle: preserve your memories, they're all that's left you? Aber ach, wenn wir älter werden, wie ändern sie sich und schwanken in der Erinnerung, so dass wir sie kaum noch erkennen.

 

  • 30.5.2009

 

Ich 5.

All unsere Werte, Sicherheiten, Erinnerungen brechen weg, und was bleibt? Zufluchten und Zuversicht? Ungewiss. Was ich früher schlimm fand, ist mir heute egal; was ich früher mein Unglück nannte, war verfrüht benannt; was mir früher unerträglich schien, ist mir heute der Anstoß zu meinem größten Triumpf gewesen. Und, was bleibt? Die Leere und das gezeichnete Ich.

 

Wer sind eigentlich immer wieder all die Leute, die sich bei Prominenten- und Politiker-Fotos oder Angeklagten-Interviews mit ins Bild drängeln, dann mit vor dem Körper verschränkten Händen wie Bodyguards aussehen oder als würden sie beten und sich offensichtlich nicht zu doof sind, mit kleinen Schritten nach links zu trippeln, wenn die Kamera nach links schwenkt? Ich finde, man sollte sie viel öfter zeigen. Dieser suchende Blick über die Schulter des Prominenten: sieht man mich auch noch, ist doch bedauerlich. Dabei tragen sie jeweils ein Gesicht zur Schau, dessen einziger Ausdruck das Ich-will-mit-drauf ist, sowie eine Körperhaltung, die sagt: ich lass mich hier nicht wegdrängeln. Ich glaube, wenn die Kamera hochschwenkte, die würden sogar hüpfen.

"Der Journalismus dient nur scheinbar dem Tage. In Wahrheit zerstört er die geistige Empfänglichkeit der Nachwelt." (Karl Kraus)

 

  • 4.6.2009

 

... entwickelten sie eine Liebhaber- und Luxuskultur, die bewirkt, dass die modernen Leute vor Brötchentresen hilflose Tänze aufführen, von der Notwendigkeit, zu zahlen, überrascht werden und dann nicht wissen, wovon sie die nächste Fettabsaugung bezahlen sollen. Zugleich raubt ihnen das Gel in den Haaren das verbliebene bisschen Aufmerksamkeit, da sie unentwegt damit beschäftigt sind, ob die Frisur auch noch sitzt. ...

Ich 6.

Vollständiges Glück setze voraus, so schreibt der Philosoph Ludwig Marcuse (1856 - 1971), dass der Mensch den Sinn seiner Existenz begreife und darin Geborgenheit finde; das aber sei unmöglich. - Nein, mein Herr, ich widerspreche. Glück setzt voraus, dass ich meine Existenz begreife und darin Geborgenheit finde, in dem Sinne, dass mir klar wird, dass ich sie nicht verlieren kann. Was auch geschieht, ich bin schon da. Ich bin der Anfang und das Ende, ich bin der, der nein sagt oder ja, mit mir wird eine Welt geboren, mit mir stirbt sie. Sie ist da, wenn ich träume wie auch, wenn meine Adern vor Anstrengung schwellen. Ganz einfach und ohne jeden Zweifel bin ich immer schon da. Das zu begreifen ist allerdings offensichtlich auch nicht ganz einfach: "Meister, was ist Erleuchtung?" - "Iss deinen Reis und trag deine Kleider." Habe ich es aber erst einmal begriffen, so ist das Akzeptieren der Vergänglichkeit ganz leicht, ein Quell des Friedens geradezu. Jetzt bin ich hier, später nicht mehr.

 

  • 6.6.2009

 

Es waren (und sind) ernsthafte Männer mit weißen Bärten, die sich räusperten und Menschen mit unkonventionellen psychischen Zuständen auf psychiatrischen Stationen einsperrten und mit unwirksamen Chemikalien und anderen albernen und gemeinen Therapiemaßnahmen traktierten, bis ihnen einfiel, nun könnten sie sie, warum auch immer, wieder freilassen. Zu was solche lächerlichen Männer beiderlei Geschlechts doch nur fähig sind, und wie ernst sie sich nehmen.

Ich 7.

Wladimir Kaminer hat es auch schön beschrieben: "Wir haben verstanden, dass ein Ortswechsel nicht zwangsläufig Glück bringt. Es gibt nur eine Welt, nur einen Globus, und wo wir auch hingehen, sind wir dazu verdammt, außer unserem Gepäck auch noch uns selbst überall mit hinzuschleppen, mit allen Ängsten, Macken und Gefühlslagen. Da bringt ein Ortswechsel wirklich nicht viel. Besser wird es, wenn man ein wenig über sich selbst hinauswächst. Wenn man aufhört, sich nur für sich selbst zu interessieren und die Augen und Ohren freimacht für das Fremde um uns herum. Das Andere, das tausendmal spannender, geheimnisvoller, abenteuerlicher und unterhaltsamer ist als das Eigene. Man muss lernen, die Kokosnuss zu mögen."

 

  • 11.6.2009

 

Zwischen Nienburg und Verden überquere ich eine Schattengrenze, plötzlich tot. Stimmen und Stirnen wie flüsterndes Stroh, hinten eine Polizeiaktion. Damals, als ich noch lebte, hat man mich getreten, getriezt und um mein Verdienst betrogen, selten mal ein nettes Wort. Jetzt, wo ich tot bin, wirft man mir Lob und Heldenberichte hinterher, aber nun höre ich sie nicht mehr. Zwischen Verden und Nienburg überquere ich die Schattengrenze noch einmal, und alles war ein Spuk.

... entwickelten sie eine Liebhaber- und Luxuskultur, so schrieb ich am 4.6. Das muss für die armen Leute völlig überraschend kommen, dass sie, wenn sie beim Bäcker stehen, auch mal drankommen. Dieser Tanz! Dann lehnen sie sich irgendwie in eingeknickten Knien zurück, um unter dem horizontalen Glastresen durch den vertikalen zu schauen, deuten irgendwie hin und her und sagen so Sachen wie "Ich hätt gern, ich nehm mal von diesem..." deuten "ähm, diesen Dings," noch mal deuten, aber die Verkäuferin schaut nur die Kundin an, nicht den Finger "von den Rosinenbrötchen drei Stück." Was ist denn bloß los? Ist das zu schwer: "Drei Rosinenbrötchen, bitte" zu sagen? Und dann erst das Zahlen! Ach du liebe Zeit:

Sie macht das Handtäschchen auf, sie nimmt das Geldtäschchen raus, sie macht das Handtäschchen zu, sie macht das Geldtäschchen auf, sie nimmt ein Geldstückchen raus, sie macht das Geldtäschchen zu, sie macht das Handtäschchen auf, sie tut das Geldtäschchen rein, sie macht das Handtäschchen zu. --- So. Und jetzt kommt das Wechselgeld.

--- Und ich schaue zum Fenster der Bäckerei hinaus und denke daran, dass meine Kinder auch nicht ewig jung bleiben, und dass Kinder auch ihren Vater brauchen, und dass bald Weihnachten ist. Und ob ich noch meine Rente einreiche.

 

  • 20.6.2009

 

Männer in kurzen Hosen: warum lassen sie das nicht!

Das verhärtete und gefühlsreduzierte Gesicht des 55-jährigen, alkoholkonsumierenden Rauchers, der nicht einmal für eine auch nur halbwegs erfolgreiche Kommunikation genügend Informationen mitbringt: Wo es doch wenigstens noch ein Austausch von Informationen sein könnte, ist es zum Austausch von Versatzstücken geworden, die auf einem Blatt Papier Platz haben. Da lebt nichts mehr. Ist lebend tot.

Der wahre Blick auf die Welt, der mehr zeigt als ein Spiegelbild, kann erst dann gelingen, wenn wir mindestens einmal bis zum wahren Grund der eigenen Seele abgetaucht sind und daher keinerlei gefährliches Terrain mehr tragen, das es zu verteidigen oder zu vermeiden gilt. Wir haben so die Möglichkeit, absichtslos zu werden. Aber dann ist dieser Blick auch schon bedeutungslos. Jeder Mensch ist eine Welt.

 

  • 22.6.2009

 

Ich 8.

Antwort von Anke:

Ich kann alles verlieren und es gibt nichts, was mir wirklich sicher ist.

Mein Kommentar:

Ein interessantes Gegenbeispiel ist die Vollnarkose oder Bewusstlosigkeit:

Verlieren, einen Verlust erleiden, bedeutet, ich spüre den Verlust, schmerzhaft und subjektiv, also mit einem Gefühl für den Verlust. Ein Toter verliert nichts mehr, obwohl ihm objektiv das Fleisch von den Knochen fällt. Die Voraussetzung ist also, dass ich am Leben und bei Bewusstsein bin, also bei mir; wie man über einen aus der Bewusstlosigkeit Erwachenden sagt, er kommt zu sich. Wenn ich also das Bewusstsein verloren habe, warum auch immer, dann kann ich in diesem Sinne nichts mehr verlieren. Will ich also diese Voraussetzung annehmen, dass ich bei mir bin, so kann ich sagen, dass ich selbst das Letzte bin, das ich verlieren kann, danach deshalb nicht mehr, weil es danach ein Bewusstsein für den Verlust nicht mehr gibt.

Ich z.B. habe objektiv meinen Blinddarm verloren. Sagte jedenfalls der Chirurg. Subjektiv lebe ich bis heute, als hätte ich ihn noch. Da ich ja, in der Narkose, mich verloren hatte, habe ich andererseits ihn, den Appendix, nicht verloren. Was der Chirurg sagt, ist für mich bedeutungslos. (Andererseits ist mir persönlich mein Blinddarm ziemlich egal, ich komme zurecht.) Bin ich einerseits bewusstlos, spüre ich andererseits den Verlust meiner Geldbörse nicht, in dem Sinne, dass er mir nicht zu Bewusstsein kommt. Phänomen Phantomschmerz: die vielfältig bunte Welt, Körper inklusive, ist in meinem Kopf, und der setzt Bewusstsein voraus.

Sollte ich also in die Verlegenheit kommen, sagen zu müssen, ich hätte mich selbst verloren, so müsste ich feststellen, dass ich es nicht mehr sagen kann, da es ja mich, der dies sagen und beklagen kann, wegen Bewusstlosigkeit nicht mehr gibt. Ich spreche in hier diesem Ich-Dialog also nicht von einem metaphysischen Trost, an den ich glauben oder nicht glauben kann wie an eine Religion, sondern von einer subjektiven Tatsache.

Den scheinbaren Widerspruch von "subjetkiv" und "Tatsache" akzeptiere ich mit folgendem Hinweis:

In der OP-Narkose hatte ich allerdings nicht nur das Bewusstsein von mir selbst verloren, sondern auch das von der ganzen Welt. Bin ich umgekehrt bei mir, so ist die ganze Welt bei mir. Da dies auch für Dich gilt, ist jeder Mensch eine ganze Welt. Da, was der Chirurg sagt, bedeutungslos ist, hat die Welt mit ihren scheinbar objektiven Fakten keine nennenswerte Bedeutung für uns.

"Vergeh dich ruhig, vergeh dich an dir selbst und tu dir Gewalt an, meine Seele; doch später wirst du nicht mehr Zeit haben, dich zu achten und zu respektieren. denn ein Leben nur, ein einziges, hat jeder. Es aber ist für dich fast abgelaufen, und du hast in ihm keine Rücksicht auf dich selbst genommen, sondern hast getan, als ginge es bei deinem Glück um die anderen Seelen ... Diejenigen aber, die die Regungen der eigenen Seele nicht aufmerksam verfolgen, sind zwangsläufig unglücklich."

Sage ich, es sei von Marc Aurel, so nimmst du es hin. Sage ich es als von mir gesagt, so streitest du. Wie lange wollen wir eigentlich noch hoffen, dass Papa kommt und uns über diese befahrene Straße führt!

Worte leisten manchmal so viel Widerstand, stellen sich so quer und sperrig, tun manchmal so fremd, als sei ihnen einfach kein Geheimnis zu entlocken. Mit ihnen dringen wir zum Grunde vor, sie sind die wahren Fahrstühle in die Tiefe, sie vermitteln uns, was ist und geschieht, wo die realen Kletterseile nur Abenteuerspielzeug sind. Worte aussprechen, die Menschen berühren; die im Stellwerk der Seele die kleine Veränderung erzeugen, die dem Leben eine neue Richtung gibt. In Worte die zu Ende gedachten Dinge bannen, auch wenn es wehe tut, auch wenn die Konsequenzen finster sind oder zutiefst verunsichernd. Auch wenn sie einsam machen.

 

  • 28.6.2009

 

Es gibt Priester und Bischöfe, die gegeneinander polemisieren. Die von der einen Kirche gegen die von der anderen Kirche. Haben die eigentlich sonst nichts zu tun? Müssen die nicht irgendwie karitativ arbeiten für ihr Geld, Menschen Trost spenden in schwerer Zeit? Es gibt Pfarrer, die Waffenweihen durchführen, in allen Winkeln dieser Welt gibt es sie, Nudistenpfarrer, Motorradpriester, die sich der modernen Zeit angepasst haben, Pfarrer, die die Folterknechte von Militärregimes segnen, es gibt fundamentalistische Christen, die im Jemen ihnen unbekannte Menschen missionieren wollen, es gibt nach wie vor Streit unter diesen Christenmenschen um den wahren Glauben und die Zugehörigkeit zur wahren oder falschen Kirche. Und es gibt Dieter Bohlen. Das alles gibt es und es gibt keine Ruhe, sondern es hat keine Scheu, uns anzuekeln, uns mit dem medialen Auswurf ihres Daseins zu belästigen. Kann das nicht alles zusammen in einem der hinteren Täler der Karpaten existieren, wo erschwerte Bedingungen herrschen? Es ist das alles zusammen eine wirklich ekelhafte Mischpoke, die nicht mehr tut, als in einer überfüllten Welt den Kot ihrer bedeutungslosen Überlegungen abzusetzen, ihr schlechtes Benehmen in die Öffentlichkeit zu halten und zu hoffen, dass eine Kamera auf sie gerichtet ist. I am the slime oozing out of your tv-set. Es ist ja nun ok, dass es all das gibt, es kann ja auch noch angehen, dass ich davon erfahre, obwohl das allein schon eine Zumutung ist; was nun viele Grenzen sprengt, ist die Tatsache, dass diese Schmerzlosigkeit in salbungsvollem oder wahlweise rotzlöffeligem Ton versucht, meinen Mitmenschen mit jovialem Augenblinzeln die Welt und das Verhalten darin zu erklären, den Menschen sagte ich, mit denen ich dann leben muss. Überall die Schattenbilder dieser Zweidrittelexistenzen, die sich aufführen, als seien sie die fleischgewordenen Vertreter der platonischen Ideen. Mein großer Ärger beruht darin, dass mich dieses Verhalten einsam macht, wo ich dies nicht selbst gewählt habe: der Schmerz, erleben zu müssen, dass die Fähigkeit, selber zu denken, aufgegeben wurde zugunsten wichtigtuerischer Knallköpfe.

Aber endgültig sämtliche Dimensionen der Selbstüberschätzung werden gesprengt, wenn ich erfahre, dass es geneigte Mitmenschen gibt, die mich warnen wollen und bitten, darüber nachzudenken, ob ich hier nicht ein relativ loses Mundwerk führe und Konsequenzen fürchten müsste. Wenn ich dann nachsehe und feststellen muss, dass mir der Gedanke um die Konfrontation zwischen meinen Gedanken und meiner Familie tatsächlich Kopfzerbrechen bereiten muss, dass ich mir tatsächlich überlegen muss, was ich hier, in meinen eigenen Veröffentlichungen äußere und was nicht, weil es unangenehme Konsequenzen haben könnte, nicht für mich, sondern für meine Familie, weil dieser aufgewirbelte Jauchehaufen Zores entwickeln und Kischkas absetzen könnte, dann frage ich mich endgültig, wer in diesem freiheitlich demokratischen Land eigentlich dem Anschein nach das Heft des Handelns in der Hand hält. Wie wird denn das wahrgenommen? Sind diese Bohlen der Inkompetenz inzwischen in der öffentlichen Wahrnehmung dergestalt überbläht, dass sie im Moment des Platzens den umgebenden Schamott mit in den Abgrund reißen? Oder bin ich hier ein Protagonist fremder Hilflosigkeit, einer, der seine Gedanken äußert, weil andere es nicht tun? Es setzt denen ja nicht nur niemand eine Grenze, das wird ja auch noch bezahlt.

„Aber er hat doch so viel Gutes für die jungen Leute getan…!“ Nein, hat er nicht. Umso bitterer aber ist es, erleben zu müssen, dass so ein Quatsch geglaubt wird. Leuten zu zeigen, dass sich Großmäuligkeit rechnet und auszahlt, ist ekelhaft und eine Verrohung sondergleichen – und das ist es, was es alles gibt. Wenn man das Leben nicht in vollen Zügen genießen mag, weil wir in vollen Zügen zu dicht aufeinanderhocken, Distanzlosigkeit sich breit macht und der Mist überschwappt. „Aber ich glaube es halt einfach“, sagen mir die Glaubensleut der Kirchen, der oben erwähnten. Ja, das sehe ich schon, und ich bin bereit, einen Glauben zu akzeptieren (als wenn es das bräuchte), wenn er hinter den Grenzen dessen einsetzt, was wir wissen können. Insofern aber handelt es sich nicht um Glauben, nicht um eine Weltanschauung, sondern um ein Wiederkäuen aus Faulheit oder Feigheit oder schlimmer noch: um ein Kalkül.

Der Himmel derer, die schon bezahlt haben, Elysium der Alleskönner: hier kriegst du was geboten, hier wird dir gesagt, wo es zur nächsten Attraktion geht, Wartezeiten wurden eingeplant, Clowns sorgen für deine Unterhaltung, Freizeitpark der Gedankenlosigkeit, der Eintritt ist also bezahlt, das große all-inclusive-paradise, für Übernachtung im Erlebensfalle ist gesorgt, und was darüber hinausgeht, wird einfach von vornherein einbehalten. Hier ist alles schon geplant, keine Sorge, hab keine Sorge, hier wird gelächelt, wie man es für Geld nur kaufen kann. Hier wirst du mit Meinungen ausgestattet, dass du nicht mehr denken musst. Der Geschmack, die Vorlieben, die Spiele und Möglichkeiten: vorgegeben, alles im Angebot, keine Sorge, für Rausch und Vergnügungen ist gesorgt. Du kannst unter einem bunten Strauß von Angeboten wählen, lauter attraktive Möglichkeiten, irgendwas wird auch für dich schon dabei sein, rot oder blau oder warm oder kalt, laut oder leise, hier kriegst du es geboten. Auf- und abgehen im großen Fahrzeug ist erwünscht, und sollten einmal kleinere Unannehmlichkeiten entstehen, so wenden sie sich bitte an unser freundliches Personal, geschult und ausgebufft, hier muss kein Mensch Mangel leiden, niemand ist zuständig, das macht sich alles irgendwie so von selber. Hier gibt es was, was immer Sie wollen, hier ist der Sumpf der sofortigen Erfüllung. Nur dass der Kerl zwei Sitze rechts von dir schon seit zwei Stunden seine zwei Meinungen kundtut, dagegen sind wir leider machtlos, der muss das übrigens so, der ist dafür bezahlt und angestellt, und bis ans Ende der Höllenfahrt wird er seine Meinung kundtun, wieder und wieder, und er wird nicht aufhören, und es ist ein Gräuel im Angesicht des Herrn, und so fährt er mit, und er redet und redet und tut kund ohne Unterlass. Und nun werden leider auch andere Unzulänglichkeiten offenbar, dass zum Beispiel deinem Gegenüber die hühneraugigen Füße zu den Sandalen rauskucken, dass dem da hinten ein Tröpfchen weiße Spucke im Mundwinkel hängen geblieben ist, das nun im Wind seiner Äußerungen heraus- und hineinweht, du würdest vielleicht gerne nicht hinsehen. Und dem da rechts scheint irgendwie das Gesicht zu zerlaufen, das tut uns jetzt aber leid, wir konnten da nichts mehr dran machen. Auch das Lachen rechts von dir wird langsam hysterischer, ist da nicht etwas Gellendes dabei, aber sicher nur vorübergehend. Nein? Tja. Hier werden Leben von vornherein bestattet unter den Mänteln der Inkompetenz und Schlampigkeit. Himmel der Feiglinge, Elysium der Faulpelze und Alleskönner.

 

  • 8.7.2009

 

Wer immer also meint, mich warnen zu müssen, weil mein loses Mundwerk mir Schwierigkeiten bereiten könnte, warnt im Grunde ja sich selbst, da er das fürchtet, was geschieht, wenn er tatsächlich einmal tut oder sagt, wonach ihm im Grunde immer schon ist. Der Impuls muss ja da sein, irgendwo in der Tiefe, sonst wäre da ja kein Leben.

Und wieder bin nicht ich gemeint, sondern der Sprecher. Nach wie vor frage ich mich, ob es ein Kriterium gibt, an dem ich sogleich erkennen könnte, ob einer nur von sich oder auch von der Welt spricht. Gibt es Zeichen dafür, dass ein Mensch mindestens einmal zum Grunde seiner Seele ab- und wieder aufgetaucht ist? In Worte die zu Ende gedachten Dinge bannen, sagte ich, Geheimzeichen der Kundigen, die sich erkennen, wenn sie sich sehen.

 

  • 11.7.2009

 

Mal was ganz anderes: Warum kann man wohl so ziemlich jeden Menschen hierzulande mit Verwandtschasftverhältnissen verwirren? Wer ist der Neffe des Bruders meiner Oma? Mein Vater? (Hab ich ziemlich lange für gebraucht) Wer ist die Schwippschwägerin der Tante meines Cousins? Und warum könnte das meine Tante sein? (Bin ich mir nicht sicher.) Das muss man mal auf einer Party fragen, wenn sich die Gesellschaft darauf einläßt, ist das Gesprächsthema für die nächsten zehn Minuten gesichtert. Die Gesprächsbeiträge kennt man auch schon, nicht wahr? Und je nach Zustand gibt man früher oder später auf.

Hat hier irgendjemand eine Ahnung, warum das so zuverlässig funktioniert?

 

  • 17.7.2009

 

10 Tage nach einem Streit, heute nachmittag, werden sie sich wiedersehen. Ihre Prognose zu ihm: Man redet nicht drüber, also hat's nicht stattgefunden. Interessante Prognose, denke ich, hängt es wirklich davon ab? Man kann das auch Verdrängung oder Verleugnung nennen und damit pathologisieren, aber umgekehrt betrachtet: Man redet drüber, also hat's stattgefunden. Wenn, ob es stattgefunden hat oder nicht, von unserer Beachtung abhängt, und das tut es ja offensichtlich, dann ist eine wichtige Fähigkeit für das Zusammenleben ein kurzes Gedächtnis. Es sei denn, du willst Ärger. Geben wir der Sache Aufmerksamkeit, dann bekommt sie Bedeutung, wird wirklich und wichtig.

Die Dinge sind so ernst und wichtig, wie wir sie nehmen.

 

  • 24.7.2009

 

Diesen vier Männern von Seite 86 des aktuellen Spiegel gefällt nicht, wie ich mein Leben führe.

 

  • 25.7.2009

 

Ich muss vielleicht einmal ein paar Dinge zu den Herren vom Vortag sagen. Selbstverständlich kümmert mich nicht, was diesen Männern gefällt. Nur muss es ihnen ja auch gar nicht gefallen, was ich so denk und tu, es steht ihnen ja frei, meines abzulehnen. Aber ab wann geht das los, dass es mich kümmern sollte? Bei jemandem aus meinem Kulturkreis, sagen wir einem Erzbischoff? Natürlich auch nicht. Dann bei jemandem aus meiner Stadt? Meinem Haus? Meiner Wohnung? Aber all diese Menschen gehen eher als ich, sie sind so vergänglich, so flüchtig, so hauchzart mir beigegeben für eine kurze Strecke gemeinsamen Weges. Wie lange noch werden sie mich begleiten? Und was ist danach? Der nächste bitte? Wie gefällt denn Ihnen mein Lebensstil? Und, was soll ich da machen? Das Problem habe doch nicht ich. Das ist ganz einfach zu Ende gedacht: Wenn mir irgendwo der Wein nicht schmeckt, dann trinke ich ihn nicht mehr.

Aus dem Januarheft des Merkur 2008, Nr. 704

Wenn ich erzähle, ich ginge bei meinen Forschungen der Frage nach, wie Kultur die Männer ausbeutet, lautet die erste Reaktion gewöhnlich: "Wie können Sie behaupten, Kultur beute die Männer aus, wo Männer doch alles bestimmen?" Das ist ein berechtigter Einwand, der jedoch auf dem Fehler beruht, nur nach oben zu schauen. Richtet man den Blick stattdessen auf den untersten Teil der Gesellschaft, findet man auch dort meistens Männer. Wer sitzt überall auf der Welt als Krimineller oder politischer Gefangener im Gefängnis? Frauen haben niemals einen Anteil von 51 Prozent an den zum Tode Verurteilten gehabt. Wer ist obdachlos? Wiederum meistens Männer. Wessen bedient sich die Gesellschaft für niedere und gefährliche Arbeiten? Eine Statistik des amerikanischen Arbeitsministeriums berichtet, dass 93 Prozent der bei der Arbeit Getöteten Männer sind. Ähnliches gilt für die im Krieg Gefallenen. Selbst in der heutigen US-Armee, die viel Wesens davon macht, die Geschlechter zu integrieren und Frauen an die Front zu schicken, sind die Risiken nicht gleichmäßig verteilt. Als 2007 die Zahl von dreitausend amerikanischen Toten im Irak erreicht wurde, waren darunter 2938 Männer und 62 Frauen. Das ist ein wichtiger erster Hinweis darauf, wie Kultur sich der Männer bedient. In jeder Kultur gibt es zahlreiche Fälle, in denen Menschen für gefährliche oder riskante Aufgaben benötigt werden, und deshalb werden hohe Belohnungen ausgesetzt, um die Menschen zu veranlassen, solche Risiken einzugehen. Die meisten Kulturen tendieren dazu, sehr viel mehr Männer für diese Stellen mit hohem Risiko und hoher Belohnung zu benutzen als Frauen. Ich vertrete die These, dass es dafür wichtige pragmatische Gründe gibt. Als Folge davon streichen einige Männer hohe Belohnungen ein, während das Leben anderer ruiniert oder frühzeitig beendet wird. Die meisten Kulturen schirmen ihre Frauen gegen dieses Risiko ab und gewähren ihnen folglich auch nicht die entsprechenden hohen Belohnungen. Ich behaupte nicht, dass Kulturen dies aus moralischen Gründen tun sollten. Kulturen sind keine moralischen Wesen. Was sie tun, tun sie aus pragmatischen Gründen, getrieben von der Rivalität mit anderen Systemen und anderen Gruppen.

Roy F. Baumeister, Wie die Kultur Männer benutzt

 

  • 5.8.2009

 

Seit dem 1.8.2009 ist unsere Tochter Marie bei uns auf der Welt. Das ändert den Lauf der Dinge.

 

  • 6.8..2009

 

Meistens misslingen Abschiede, sind eher ein sich aus den Augen verlieren. "...ein echter Abschied müsste eine Begegnung sein. ... Was unterscheidet einen ehrlichen von einem feigen Abschied? Ein ehrlicher Abschied - das wäre der Versuch gewesen, zu einem Einverständnis darüber zu gelangen, wie es mit uns, mit Dir und mir, gewesen ist. Denn das ist der Sinn eines Abschieds im vollen, gewichtigen Sinne des Worts: dass sich die beiden Menschen, bevor sie auseinandergehen, darüber verständigen, wie sie sich gesehen und erlebt haben. Was zwischen ihnen geglückt und was misslungen ist. Dazu gehört Furchtlosigkeit: Man muss den Schmerz über Dissonanzen aushalten können. Es geht darum, auch das, was unmöglich war, anzuerkennen. Sich verabschieden, das ist auch etwas, das man mit sich selbst macht. Zu sich selbst stehen unter dem Blick des Anderen. Die Feigheit des Abschieds dagegen liegt in der Verklärung: in der Versuchung, das Gewesene in goldenes Licht zu tauchen und das Dunkle wegzulügen. Was man dabei verspielt, ist nichts weniger als die Anerkennung seiner selbst in denjenigen Zügen, die das Dunnkel hervorgebracht haben."

(Mercier, Nachtzug nach Lissabon)

 

 

 

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